Veröffentlicht: Salty Souls MagazineText: Katharina KörfgenFotos: Katrin Behrens
Beim Reisen habe ich gelernt nichts zu erwarten und dafür doppelt überrascht zu werden. Deswegen habe ich mich auch nicht vorbereitet. Kein Reiseführer und keine Reiseplanung sollen mich davon abhalten, mich in jedes Abenteuer zu stürzen was vor mir liegt. Ich will frei sein und ich will offen sein für ein Land, das ich nur aus Magazinen und dem Traumschiff auf ZDF kenne. Ich will wissen was hinter diesen vier Buchstaben »Bali« steckt, die für viele Menschen als Synonym für »Paradies« stehen.
Mit dem ersten Schritt über die Türschwelle der Boeing 747 geht meine Reise los und mit dem ersten Atemzug tauche ich in eine neue Welt ein. Jedes Land hat einen einzigartigen Geruch, einen Geruch mit dem man Gefühle verbindet und der einen immer wieder an das Land erinnern wird.
Der süße Dunst der nächtlich tropisch heißen Luft steigt in meine Nase, der Duft von Abgasen und der Duft von Räucherstäbchen. Das sind die Duftnoten, die mich die nächsten Wochen begleiten werden.
Ich kämpfe mich mit meinem Gepäck und meiner Boardbag, in denen sich mittlerweile 2 Surfbretter, 2 Neoprenanzüge und ein Haufen an Bikinis befinden, die ich im »Sale« an der Gold Coast geschossen habe, durch die Menschenmenge in der Flughafenhalle.
Ich komme mir mit meinen 1,80m ziemlich groß vor. Ein wenig zu groß.
Ein netter Taxifahrer bringt mich in zu der Unterkunft, in der Katrin und Boris bereits warten. Leider ist es schon so dunkel, dass ich während der Fahrt nicht mehr viel von der neuen Welt sehen kann. Ganz schön gemein, denke ich und fühle mich wie ein Kind, das die Minuten bis Heilig Abend zählt.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker schon um kurz vor sieben. Mir kommt alles ziemlich unrealistisch vor. Der Geruch der neuen Welt macht mich schnell munter. Ich springe in meinen blauen Badeanzug von der Gold Coast, bemale mich mit weißem Zink und bastel die Finnen in mein Surfbrett, was den Flugtransport glücklicherweise heil überstanden hat.
Ich habe viel gehört von den Wellen in Indonesien. Doch niemand hat mir von dem Geräusch der Wellen berichtet. Kurz bevor ich die erste Welle auch nur sehen kann, höre ich ein dumpfes, kräftiges Grollen. Ähnlich wie ein Donner.
Keine europäische oder australische Welle klingt so wie eine Indonesische. Das erste Gefühl was mir das Donnern der Wellen vermittelt hat, war Respekt mit einer Mischung Angst.
Ein paar Schritte weiter, über den schon heißen Asphalt und ich sehe den Strand. Leider erwartet mich kein weißer, sauberer und palmengesäumter Sandstrand wie im Traumschiff auf ZDF. Auch wenn ich keine Erwartungen haben wollte, bin ich ein wenig ernüchtert von dem schwarzen mit Mülltüten und Plastikresten verdrecktem Strand und dem braunen Wasser. Immerhin, die Palmen stimmen.
Ein paar Minuten lang schaue ich mir die Wellen an und versuche sie zu lesen. Das was ich sehe ist ziemlich groß, ziemlich steil und für mich auch ziemlich bedenklich. Ich atme tief die balinesische Luft ein und paddel mit einem mulmigen Gefühl raus. Nach ein paar Minuten merke ich schnell, dass die Wellen eine ziemliche Kraft haben, die ich erst kennenlernen muss. Der Spot an dem wir surfen ist voll gepackt mit Einheimischen und Reisenden. Die Stimmung ist trotzdem gut und als eine Schildkröte mürrisch neben mir auftaucht und nach dem Rechten sieht, weiß ich dass ich mir keine Sorgen machen brauche.
Nach einem zwei stündigem Rendezvous mit den Wellen ist es Zeit für ein Frühstück und wir kehren zu unserer tropischen Unterkunft zurück.
Die nächsten Tage erkunden wir standesgemäß mit dem Roller die Umgebung. Der heiße Wind pustet durch unsere zotteligen Salzwasserhaare, unsere Kleidung klebt an unseren Körpern vor Hitze und wir atmen jeden Moment und jede Landschaft tief ein. Grüne Reisfelder, Palmenhaine und vollgequetschte Straßen. Und immer schwebt über allem der Geruch von Räucherstäbchen, süßem Dunst und Abgas.
An einem Morgen folgen wir einer kleinen staubigen Straße durch endlos grüne Weiten. Kinder am Wegesrand winken uns zu. Der Himmel ist durchzogen von grauen Nebelschwaden- Müll wird verbrannt.
Uns kommen ein paar Surfer mit ihren Rollern entgegen und wir entscheiden spontan Ihren Spuren zu Folgen. Nach ein paar Minuten gelangen wir zu einem kleinen Strandabschnitt. Der Sand ist funkelnd schwarz, heiß und glücklicherweise nicht verdreckt. Es ist Hightide und die Wellen schlagen mit aller Wucht auf den Strand.
Wir finden Unterschlupf in einem kleinen selbstgezimmerten Imbiss direkt am Strand. Samira, die Inhaberin des Imbiss schlägt uns eine frische Kokosnuss auf und bietet uns an von Ihrem frischem Curry zu kosten. Es ist wohl das beste Curry was wir bis dahin jemals gegessen haben…
Sie berichtet von ihrem erwachsenen Sohn, der in Amsterdam lebt um zu studieren. Sie selbst habe auch mal in Holland gewohnt, aber nach ein paar Jahren in Europa, habe es sie an diesen einsamen Strand zurück verschlagen. Sie sagt, sie sei glücklicher an einem Ort an dem Ihre Wurzeln sind und nehme dafür gerne den Verzicht von europäischem Luxus in Kauf.
Später bekommt Samira Besuch von einem befreundeten englischen Pärchen. Das Paar kommt besonders gerne, wenn Samira ihr Curry macht. Warum wissen wir jetzt.
Ein paar Stunden später sind wir bereit, um uns in die Wellen zu stürzen. Wir haben großes Glück, denn wir sind an diesem Nachmittag ganz alleine im Wasser und kommen mit einem Strahlen zurück an den schwarzen glitzernden Strand. Das Warten hat sich gelohnt, jeder hat eine gute Portion Wellen mitnehmen dürfen.
Nachdem wir den Norden der Insel erkundet haben, zieht es uns weiter Richtung Süden in ein Dorf, in dem Wohnungen und Hostels in einer steilen Felsklippe verankert sind. Ziemlich aufregend und exotisch, denken wir und können es kaum erwarten. Der erste Anblick und auch Ausblick enttäuscht uns nicht.
Vor uns liegen ein paar hundert Stufen an der Felsklippe entlang und dahinter direkt das Meer. Überall gibt es gemütliche Cafés und kleine Wohnungen. Alles ist ganz ruhig und wirkt im Vergleich zu den letzten Wochen ziemlich gelassen und entspannt. Wie eine Oase, die wir in Mitten vom turbulenten Bali gefunden haben.
Wir gönnen uns erst einmal einen frisch gepressten Saft, legen die Füße hoch und starren auf die Brandung. Die Wellen sehen nahezu perfekt aus und reihen sich nahtlos aneinander. Nach und nach wird das Line Up leerer und wir beschließen die Gunst der Stunde zu nutzen und unsere ersten Surfversuche auf einem Riff anzugehen- wie sich im Nachhinein rausstellt keine gute Idee. Schon auf den ersten paar Metern zum Meer begegnen wir Surfern die blutig ans uns vorbeilaufen und uns zu trotzdem lächelnd zu nicken. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt wieder umzukehren. Mein Wagemut und der Drang nach Abenteuer ist in diesem Moment allerdings größer als mein Verstand und keine 5 Minuten später kraxeln wir barfüßig über das Riff. Weitere 5 Minuten später, sind wir gerade mal ein paar Meter vorangekommen, haben blutige Fußsohlen und nicht mehr ganz soviel Lust auf Abenteuer. Auf halber Strecke umkehren, kommt aber auch nicht in die Tüte und so kämpfen wir uns mit schmerzverzehrtem Gesicht weiter gen Brandung. Endlich im Wasser angekommen, stürzen wir uns voller Elan auf unsere Bretter und sind froh kein messerscharfes Riff mehr unter unseren Füßen zu spüren. An den Rückweg denken wir besser nicht. Lektion gelernt.
Am Abend marschieren wir durch die Felsstadt und schauen uns ein wenig um. Unten am Strand finden wir den perfekten Platz für das Abendessen. Direkt im Sand stehen Stühle und Tische. Es gibt frischen Fisch, den man pro Kilo bezahlt. Wir kommen beim Essen ins Gespräch mit einem Engländer, der Musikproduzent auf Bali ist und mit einem Balinesen, der ein Restaurant betreibt. Wir tauschen uns aus über das Reisen und das Leben und auf einmal passiert etwas sehr Merkwürdiges. Der Balinese sieht einen alten humpelnden Mann auf uns zukommen und ruft ihn her. Der alte Mann eilt herbei, faselt ein paar Worte und fasst die Schultern des Balinesen an. Es scheint als würde in diesem Moment etwas Magisches passieren. Alle verstummen und die herrenlosen Straßenhunde um uns herum kauern sich unter den Tisch. Plötzlich schreit der Balinese laut auf, grell und voller Schmerz. In dem gleichen Moment, wie von Geisterhand laufen alle Hunden jaulend weg. Sogar in der Ferne hören wir noch Hunde bellen.
Erst nach ein paar Minuten fängt jemand an sich in dem Plastikstuhl wieder zu bewegen. Wir atmen auf. Der Balinese erklärt uns, dass der alte Mann dunkle Geister aus seiner Seele gezogen habe und dass Tiere spüren, wenn die Geister aus dem Körper gelöst werden. Nach seiner Erklärung, steht er auf und sagt, dass er sich nun schlafen legen müsse, weil das für seinen Körper sehr anstrengend war.
Dieser Abend ist uns noch lange im Gedächtnis geblieben und wir sind uns nun sicher, das es Magie wirklich gibt.
Unser nächstes Abenteuer beginnt mit einer Bootsfahrt in Richtung einer kleinen Insel. Ich mache mir keine großen Hoffnungen mehr auf paradiesische Strände.
Als wir aber Richtung Hafen kommen, fühle ich mich endlich wie auf dem Traumschiff und bin ab dem ersten Blick verliebt in diese kleine Insel neben Bali. Kristallklares türkises Wasser, weißer Sandstrand und Palmen. Endlich angekommen.
Wir finden eine Unterkunft direkt am Strand und beobachten die Wellen die ganz hinten am Riff brechen.
Wenige Touristen verirren sich auf die Insel und das Bild ist noch geprägt von Ursprünglichkeit. Lediglich ein Geldautomat ist Treffpunkt der Weltbummler.
Die nächsten Tage fühlen wir uns wie Robinson Crusoe. Wir fahren mit dem Boot raus zu den Wellen, springen ins glasklare Wasser, sehen das bunte Riff unter uns und die anmutig brechenden Wellen neben uns. Die Bedingungen könnten nicht besser sein und der Ausblick auf die Insel voller Palmen auch nicht.
Ein großer Pluspunkt beim Surfen ist, dass man die Welt von einer anderen Seite aus sehen kann. Wenn man im Meer sitzt und die Beine ins bestenfalls warme Wasser baumeln lässt, sieht man seine Umgebung irgendwie von außen. Man bekommt Abstand zu dem festen Ufer und kann die Küste, die Insel oder ferner das Land von einem anderen Blickwinkel aus sehen. Das, was man aus der Entfernung aus dem Wasser sehen kann, ist meist wunderschön. So macht einen allein der Ausblick unfassbar glücklich. Wenn man das ganze noch mit einer Welle teilen kann, ist der Moment perfekt.
Als sich unsere Zeit in dem Paradies dem Ende zuneigt und wir unsere Koffer packen müssen, bin ich froh, dass ich mir keinen Reiseführer gekauft habe und mir keinen Plan vorher zu Recht gelegt habe. Alles ist so gewesen, wie es sein sollte.
Wir haben Bilderbuch Wellen gefunden, sind mit zerzausten Haaren auf dem Roller durch Palmenhaine gefahren, haben abends mit salzverkrusteter Haut frischen Fisch gegessen, haben ein buntes und angsteinflößendes Riff gesehen, haben den Saft frischer Kokosnüsse getrunken und haben gespürt, dass es Magie wirklich gibt.
Nach einer Reise versuche ich immer herauszufinden, was mich ein Land gelehrt hat. Bisher hatte ich bei jeder Reise schnell eine Antwort auf diese Frage.
Doch noch heute, monatelang nach der Reise, frage ich mich noch immer was die Lektion von Indonesien war.
Ich denke es muss irgendwas mit Magie zu tun haben.